(Nicht weit) her mit der Rechtsstaatlichkeit! Deutschland und Großbritannien im Vergleich

Spätestens seit den Veröffentlichungen in der Süddeutschen Zeitung zur Zusammenarbeit des BND mit der NSA unter „Operation Eikonal“ dürften nun auch dem Letzten ein paar Dinge klar sein:

  • Wieso die Bundesregierung, einschließlich der SPD, sich gegen eine Aussage Edward Snowdens vor dem NSA-Untersuchungsausschuss sträubt
  • Wieso Vizekanzler Gabriel seit der Wahl das Gegenteil von dem sagt, was er vor der Wahl gesagt hat.
  • Wieso „der derzeitige Außenminister [Frank-Walter Steinmeier] schon seit den ersten Tagen nach Snowden so merkwürdig still war“.

Man kann sich schlecht auf das „ganz normale“ deutsche Rechtssystem berufen, wenn man jahrelang Grundrechte verletzt hat.

Man kann auch kein Interesse daran haben, den wichtigsten Zeugen aussagen zu lassen, wenn man selbst Dreck am Stecken hat.

Man kann nicht die Regierung – Teil derer man selbst ist – kritisieren für eine Operation, die man abgesegnet hat, als man noch in einer anderen Regierung war.

Und natürlich kann man nicht hergehen und die USA dadurch verärgern, dass man sich deren „Straftäter“ zur Aussage holt, wenn man jahrelang fleissig mitgemischt hat bei den Praktiken, zu denen er da aussagen soll.

Sowas Dummes aber auch!

Die Frage, weshalb das mit der Snowden-Aussage so ein Angang ist, wäre damit zureichend beantwortet: mit der deutschen Souveränität hat das offenbar weniger zu tun, als mit Rechtsstaatlichkeit und Aufrichtigkeit der deutschen Regierungen (Plural, weil es ja eben nicht nur die aktuelle Regierung ist, die da Grundrechte verletzt, sondern die vergangene rot-grüne Regierung gleichermassen).

Was Eikonal für die Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dazu sagt Sascha Lobo im Spiegel schon alles. Besonders bemerkenswert und wahr ist, was er da über Kontrolle schreibt, besonders amüsant und zugleich treffend seine Beschreibung, mit Eikonal den Bock nicht etwa zum Gärtner zu machen, sondern ihn „aus dem Kanzleramt heraus [mit] einem Flammenwerferangriff auf den Garten zu beauftragen“.

Interessant ist an Lobos Kolumne aber noch etwas ganz anderes: nämlich die Reaktion des Regierungssprechers Steffen Seibert zu Fragen nach Eikonal bei der Bundespressekonferenz am 6. Oktober. Lobo nennt Seiberts Verhalten „verbales Reagieren“, denn „seine Einlassung “antworten” zu nennen, wäre übertrieben“.

Sagte Seibert:

Ich glaube, Sie werden kein Beispiel dafür finden, dass ich mich hier für die Bundesregierung oder die Bundeskanzlerin schon zu streng geheimen Sachverhalten, die in Dokumenten enthalten sind, die dem Deutschen Bundestag oder seinem Untersuchungsausschuss zugeleitet worden sind, geäußert hätte. Deswegen tue ich es auch diesmal nicht.

Spannend ist das deshalb, weil die englische Regierung seit Beginn der Snowden-Enthüllungen exakt dieselbe Rhetorik anwendet: zu Sachverhalten die Geheimdienste betreffend wird sich nicht geäussert. Der einzige Unterschied ist, dass man sich in England auch sonst nicht gross äussert – und, dass keiner so richtig fragt.

Es gibt aber noch andere Parallelen: in Deutschland wurde offenbar die

G10-Kommission, die für parlamentarische Kontrolle von Abhöraktionen nach dem G10-Gesetz zuständig ist, nicht über die Kooperation [von NSA und BND] informiert.

In England trug sich ähnliches zu. Da sind die Geheimdienste offenbar auch der „Auffassung… die zuständigen Kontrollgremien über ihre Aktionen nicht informieren zu müssen.“

Die englische Regierung reagiert darauf nicht etwa mit einer umfassenden Untersuchung, sondern viel mehr mit der Forderung, die Befugnisse zur Überwachung aller Kommunikation nach der Wahl 2015 weiter auszudehnen.

In Deutschland ist derweil der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, der Ansicht

dass eine effektive parlamentarische Kontrolle… frühzeitig intervenieren [können] und nicht abwarten muss, bis sich ein Untersuchungsausschuss damit beschäftigt.

Problem: die deutsche Regierung ist offenbar daran Interessiert, die parlamentarische Kontrolle zumindest teilweise einzuschränken. Mit der Datenschutzkontrolle ist es beim BND wohl auch so eine Sache, wie der NSA-Ausschuss von der Datenschutzbeauftragten Frau F. erfuhr. Die scheinbar auch nur mässig bemüht ist, den Zugriff des BND auf bis zu fünf (!) Ebenen entfernte Kontakte von Verdächtigen in Grenzen zu halten.

Wohin das führt, sieht man in den USA an den unter der sogenannten Executive Order 12333 genutzten Befugnisse: maximale Überwachung bei minimaler Kontrolle.

Da wundert es dann wohl auch niemanden mehr, das Unionsausschussobmann Kiesewetter Verständnis hat für das Vorgehen des BND: „ Zur Terrorismusabwehr sei eine möglichst enge Kooperation mit der NSA erforderlich,“ meint er. „Güterabwegung,“ ist hier offenbar der operative Terminus: will man jetzt lieber das Gut der Sicherheit oder das Gut Grundrecht? Man solle das G10-Gestz „so gut wie möglich“ einhalten. „So gut wie möglich“ – und wenn’s nicht geht, geht’s halt nicht.

Im UK scheint der Fall für die Konservativen bereits klar. Innenministerin Teresa May erklärte beim Parteitag der Konservativen schliesslich gerade erst, dass der Terrorismus vor der Tür stünde und man zu dessen Abwehr halt die Grundrechte vielleicht ein bisschen eingrenzen sollte. Überhaupt wollen die britischen Tories ja auch gleich aus der europäischen Menschenrechtskonvention austreten und den Human Right Act abschaffen. Die Engländer kratzt das offenbar wenig: Camerons Partei liegt in Umfragen zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren wieder vorn und die rechtsgerichtete UKIP gewann gerade ihren ersten Sitz im Unterhaus, obwohl Parteichef Farrage der Ansicht ist, man sollte HIV-Positive Migranten an der Einreise ins Königreich hindern.

In Deutschland macht man derweil eh, was man will, ob das nun grundrechtskonform ist oder nicht.

Da wundert es in der Woche der Vergabe des Friedensnobelpreises (nicht an Snowden) dann auch niemanden, dass

sich weder der Friedensnobelpreisträger Europäische Union noch die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, allesamt selbsternannte Horte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, bereit erklärten, sich auch nur ansatzweise für [Snowden] einzusetzen

– und das seit Beginn des ganzen Schlamassels.

Gerne legt man Snowden zur Last, dass „er Zuflucht in Russland gesucht” hat, nennt ihn Spion, Verräter, FSB-Agent. Brett M. Decker and Van D. Hipp Jr. schrieben (in einem Inbegriff der Lächerlichkeit) gerade erst vom „flotten Terrordreier“ Snowdens mit Putin und ISIS. Da will man nur noch den Kopf auf die Tischplatte legen und weinen.

Nicht nur angesichts der ausgemachten Schwachsinnigkeit von Snowdens Kritikern oder der Rückgratlosigkeit der Regierungen. Sondern auch, weil es schlicht zum Heulen ist, dass niemand einen Zeugen hören oder ihm helfen will, der

den viele Politiker auf Feier- und Gedenktagen als genau den Typus von couragiertem und mutigem Kämpfer für Freiheit und Demokratie feiern würden, wenn er denn entweder bereits verstorben wäre oder aus China oder Russland kommen würde.

Pech für Snowden – und all diejenigen unter uns, denen an wirklicher Aufklärung und unseren Grundrechten gelegen ist – das er aus dem „Rechtsstaat“ USA kommt. Den verärgert man als „Rechtsstaat“ Deutschland nicht. Vor allem nicht, weil man ja selbst fleissig mitgemischt hat bei der Verletzung der – ups! – Rechtsstaatlichkeit.

Immerhin, die deutsche Souveränität ist in der Theorie offenbar doch vorhanden. Leider wird diese von den Regierungen aber offenbar ebenso missachtet, wie die Grundrechte.

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